9. August 2022
Sara Heinrich u. Cara Schwalbe

Schule planen: die Phase Null

Warum eine Phase Null?

Noch immer werden viele Schulneubauten ohne Beteiligung der Nutzer:innen geplant und gebaut. Behörden und Planungsbüros fürchten sich vor unrealistischen Wünschen und Forderungen sowie endlosen Diskussionen. Die Erfahrungen aus Projekten, bei denen die Nutzer:innen von Anfang an mit am Planungstisch saßen, zeigen jedoch ein anderes Bild. Die vermeintlichen „Laien“ lernen schnell zu unterscheiden zwischen Utopien und realisierbaren Wünschen. Durch die intensive Beteiligung werden Planungsfehler und damit Folgekosten vermieden, das Ergebnis ist langlebiger. Die Nutzer:innen empfinden eine starke Verantwortlichkeit, was zu Zufriedenheit und umsichtigem Umgang mit dem Gebäude führt. 

Dr. Wolfgang Schönig forderte im Jahr 2013: „Wenn es um die Zukunftsfähigkeit einer demokratisch gestalteten Schule geht, dann darf die Demokratie nicht vor der Planung und Gestaltung des Schulraumes halt machen.“

Aus diesen Gründen sollte vor jedes Neubau- oder Umbauprojekt im Schulbereich eine sogenannte Phase Null vorgeschaltet werden. Die Bezeichnung Phase 0 bezieht sich dabei auf die Leistungsphasen der HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure), in denen eine solche Vorplanung nicht enthalten ist.

Dabei sind die Phasen 1-5 die konkreten Planungsphasen, die Phasen 6-9 die Umsetzung. Der Prozess endet in Phase 9 mit Einweihungsfeier, Begehung und Dokumentation zur Mängelbeseitigung. Im Anschluss hat sich inzwischen eine neue Phase 10 ebenfalls außerhalb der HOAI etabliert: diese Phase zieht sich über mindestens zwei Jahre hin (idealerweise zeitlich unbegrenzt) und dient der Überprüfung, ob das Ergebnis wirklich dem entspricht, was in der Phase Null definiert wurde. Sie berücksichtigt aber auch geänderte Bedingungen und notwendige Anpassungen - und stärkt die Verantwortlichkeit und Akzeptanz der Nutzer:innen für ihre Räume langfristig.

Was passiert in der Phase Null konkret?

Die Phase Null stellt die Schnittstelle zwischen Pädagogik und Architektur dar.

Bevor das Planungsbüro den „ersten Strich aufs Papier bringt“, wird in der Phase Null der Bedarf definiert - und zwar von allen gemeinsam: Schüer:innen und Eltern ebenso wie Lehrerkollegium, Planer:innen und Politik, aber auch das Quartier, also die unmittelbare Nachbarschaft. Insbesondere die Berücksichtigung der Inklusion spielt hier eine wichtige Rolle.

Gemeinsam wird ein pädagogisches und räumliches Konzept erstellt, damit das Endergebnis:

- dem pädagogischen Bedarf gerecht wird (um z.B. dem Wechsel zwischen vielfältigen Lernsettings gerecht zu werden)

- dem organisatorischen Bedarf entspricht (z.B. Mehrfachnutzung von Räumen, Freizeitnutzung des Schulhofes für das Quartier…)

- mögliche zukünftige Bedarfe berücksichtigt (z.B. eine künftige Ganztagsbetreuung)

Das pädagogische Konzept beginnt mit einer Bestandsaufnahme und berücksichtigt auch die Zielvorstellung: was möchte man auch mithilfe der Architektur unbedingt erreichen.

Die finanziellen Möglichkeiten, aber auch planerische und technische Lösungen, müssen grundsätzlich geklärt werden. Daraus ergibt sich, was überhaupt benötigt wird (Neubau, Umbau, Sanierung…). Nun gilt es, den Flächenbedarf u.a. anhand des detaillierten pädagogischen Konzeptes festzustellen. Ein räumliches Organisationsmodell muss erstellt werden, und dies kann nicht einfach anhand von vorhandenen Musterraumprogrammen geschehen. Solche Vorlagen helfen bei der Planung, dennoch muss die Planung auf den Schulstandort und das jeweilige Konzept abgestimmt werden. Gerade bei Umbauten gehört dazu auch eine Bestandsaufnahme, um festzustellen, welche konkreten Veränderungen notwendig sind.

So können nun erste räumliche Modelle entwickelt werden, die dann in intensiver Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten zu einem schlüssigen Gesamtkonzept ausgearbeitet werden.

Die Phase Null ist nicht in das bestehende HOAI-Modell eingepreist und muss daher ein eigenes Budget erhalten. Jedoch zeigen auch hier bereits abgeschlossene Projekte, dass die Rechnung für den Träger aufgeht: Nachbesserungen durch Planungsfehler werden vermieden und durch die höhere Zufriedenheit der Nutzer:innen wird pfleglicher mit dem Objekt umgegangen. Die langfristigen Folgekosten sind spürbar niedriger.

Welchen Nutzen hat die Phase Null im Detail?

Die Schule profitiert von der Phase Null durch ein Gebäude, das schließlich genau auf das pädagogische Konzept sowie auch andere Bedürfnisse der Lehrer- UND Schülerschaft abgestimmt ist. Die dadurch geschaffenen optimalen Bedingungen führen zu Wohlbefinden aller Nutzer:innen, der Identifikation mit der Lösung und damit einer deutlich höheren Akzeptanz. Nicht nur ein pfleglicher Umgang ist die Folge. Wenn die Schule nicht nur Lernraum, sondern auch Lebensraum wird, führt das zu einem besseren Miteinander und besseren Lernergebnissen.

Die Planer:innen profitieren durch präzise und ausführliche Vorgaben. Niemand kann hinterher sagen: das hat mir keiner gesagt. Damit läuft der gesamte Entwurfsprozess reibungsloser und ohne Missverständnisse ab. Allerdings erfordert es auch mehr Kreativität, alle Anforderungen zu berücksichtigen - dafür ist die Zufriedenheit mit dem Ergebnis aber auch entsprechend hoch.

Der Schulträger profitiert in mehrfacher Hinsicht: der fertige Bau erfüllt die Anforderungen optimal und wird dadurch gut angenommen und pfleglich behandelt. Durch die gute Vorplanung entstehen weniger nachträgliche Umbau- oder Nachrüstkosten. Das Quartier wird aufgewertet, die Stadt gewinnt an Attraktivität.

Ein Tipp für eine gelungene Phase Null

Jedes Projekt sollte von einer Person begleitet werden, die das Projekt in Bewegung hält. Legen Sie also einen sogenannten Treiber:in fest. Das ist nützlich, weil ein Treiber Ziele mitformulieren und die Dynamik des Prozesses auf alle Beteiligen übertragen kann. Außerdem sind Treiber in der Lage, über den gesamten Ablauf Energie und Ideen einzubringen und eignen sich besonders darin, all diese Punkte organisatorisch und strategisch im Blick zu behalten.

Machen Sie sich bereits in dieser Phase Null Gedanken um Entscheidungen und eine geeignete Entscheidungsfindung. Erfolgreiche Projekte leben von gut getroffenen Entscheidungen. Koordinieren Sie im Vorfeld und machen Sie sich bewusst, in welchen Bereichen und auf welchen Ebenen Entscheidungen getroffen werden müssen.

Informieren Sie alle Beteiligten und sorgen Sie so für einen reibungslosen und transparenten Kommunikationsfluss. Daten, die für Entscheidungsfindungen relevant sind, müssen allen Projektinvolvierten gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden. Die Informationsvergabe sollte jedoch zielgruppengerecht erfolgen. Das ist wichtig, denn zu viele Informationen können überfordernd wirken. Achten Sie also darauf, sich auf das Wesentliche zu beschränken.

Und wie geht es danach weiter?

Phasen 1 – 5: Planung

In der ersten Phase werden architektonische Entwürfe ausgearbeitet. Dieses kann mittels eines eigenen Entwurfs erfolgen, wenn die Schulverwaltung selbst das Bauvorhaben übernimmt. Eine weitere Möglichkeit ist der Architektenwettbewerb. Diese Variante bietet den Vorteil, dass eine Jury das beste Konzept unter verschiedenen Ausarbeitungen, anhand festgelegter Kriterien, ermitteln kann.
Dieser vorläufige Entwurf wird innerhalb der zweiten Phase in einen konkreten Umbau- oder Bauvorschlag umgewandelt. Hier spielen vor allem Punkte wie Technik, Statik und Brandschutz eine wichtige Rolle.
Ab der dritten Phase spielt die Innenausstattung eine Rolle und erste Mobiliarwünsche können definiert werden. Diese Phase beinhaltet die Vorlage des Schulbauprojekts, inklusive Kostenvoranschlag, bei dem jeweiligen Fachausschuss der entsprechenden Kommunalpolitik.
Folglich stellt die vierte Phase die Genehmigungsplanung dar. Die fünfte Phase befasst sich mit der Ausführungsplanung. Die zuvor festgelegten Aspekte aus der dritten Phase werden nun ausgearbeitet und detailreich gestaltet. Mittels Ausschreibungen werden potenzielle Anbieter zur Bauausführung ermittelt, Materialien werden bemustert und Mobiliarwünsche werden genauer definiert.

Phasen 6 – 9: Umsetzung

Nach einer erfolgreich abgeschlossenen Planung geht das Projekt schließlich in die tatsächliche Umsetzung über. Phase 6 und 7 zielen auf die tatsächliche Vergabe an Bauunternehmen ab. Gefolgt von der Objektüberwachung in Phase 8, die die Abstimmungsprozesse und fortdauernde Baustellentermine beinhaltet, schließt die Phase 9 die Fertigstellung der Schule ein. Innerhalb dieses Grundmodells stellen die letzten Schritte des Projektes die Einweihungsfeier, eine Begehung des Gebäudes zur Mängelbeseitigung sowie eine Dokumentation des Prozesses dar.

Phase 10: Inbetriebnahme

Als zweite ergänzende Phase zum klassischen HOAI-Modell sollte Phase 10 nicht unberücksichtigt bleiben. Die zehnte Phase befasst sich mit dem Prozess der Überprüfung und Optimierung der Inbetriebnahme. Die Implementierung eines solchen Monitoringprozesses kann insbesondere in den ersten 1 bis 2 Jahren der Gebäudenutzung erfolgen. Optional bietet sich die Variante an, den Prozess über den genannten Zeitraum hinaus fortzuführen und als ständigen Begleiter der Schule mitlaufen zu lassen. Diese Phase als ständiger Begleiter orientiert sich stark an den Nutzenden des Schulgebäudes.

Phase 10 bietet die Chance der Interpretation, Aneignung und Weiterentwicklung des Nutzens, in optimierter und nachhaltiger Weise. Es bietet sich deshalb an, einen solchen Schritt in Erwägung zu ziehen, da sich die Bedürfnisse und Anforderungen über die Jahre hinweg verändern können und angepasst werden müssen, um einen bestmöglichen Nutzen aufrechtzuerhalten.
Zusammenfassend ist über die Phase 10 zu sagen, dass sie die angestrebten Punkte in Phase 0 fortführt. In Kombination zielen Phase 0 und Phase 10 u.a. darauf ab, die Beziehung von Nutzern zu ihren schulischen Räumen zu stärken. Eine optimale Ausführung der beiden Phasen hat demnach zur Folge, dass die Nutzer:innen ein starkes Verantwortungsgefühl entwickeln.
Phase 10 sollte demnach eine stetige und systematische Evaluation, mit Rückblick und Bezug auf die Phase 0, enthalten. Wichtige Fragen unter diesem Gesichtspunkt sind die Alltagstauglichkeit des Schulgebäudes, ob die Funktionalität - wie in Phase 0 gewünscht - gegeben ist und wie weit die Erkenntnisse des Projektes auf zukünftige Projekte übertragbar sind.


Weitergehende Informationen zum Thema Schulbauplanung...

finden Sie u.a. auf der Webseite der Montag Stiftung:

https://www.montag-stiftungen.de/handlungsfelder/paedagogische-architektur

oder in dem umfassenden Buch der Montag Stiftung zu diesem Thema, das Sie im Buchhandel erhalten:

Schulen planen und bauen 2.0
Grundlagen, Prozesse, Projekte


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