Bildungschancen und die Frage nach der gerechten Verteilung gewinnen zunehmend mehr an Bedeutung im Schulalltag. Gerade in hoch entwickelten Ländern wie Deutschland gilt eine gute Bildung mit als wichtigstes Merkmal für eine solide Basis der individuellen Lebens- und Berufsplanung. Ebenfalls bildet sie eine Grundlage zur Ausbildung von Humanressourcen, gesellschaftlicher Dazugehörigkeit und einer fairen Chancengleichheit.
Was aber können Schulen nun anstreben, um allen Schüler:innen gerecht zu werden und sie bestmöglich zu fördern? Wie werden die verschiedenen Startbedingungen der Schüler:innen am besten berücksichtigt? Welche Möglichkeiten gibt es, die unterschiedlichen sozio-ökonomischen Bedingungen der Schüler:innen im Schulalltag abzufangen?
Um all diese Fragen der Herausforderung auf eine gute Bildungsgerechtigkeit in Schulen beantworten zu können, ist zunächst einmal ein Blick darauf, was Bildungsgerechtigkeit überhaupt bedeutet und was sie auszeichnet, nötig.
Eine genaue Definition von Bildungsgerechtigkeit gibt es allerdings leider nicht. Denn selbst Wissenschaftler:innen sind sich uneinig über eine faire Verteilung von Bildungschancen.
Verschiedene Szenarien spielen sich immer wieder in Schulen ab. Schüler:innen mit Migrationshintergrund oder aus sozial benachteiligten Elternhäusern erfahren häufig weniger Bildungschancen als ihre Mitschüler:innen ohne Migrationshintergrund oder aus bessergestellten Familien.
Dabei kommt es auch nicht selten vor, dass ein Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gemacht wird. Wo es früher üblich war, dass tendenziell Schülerinnen innerhalb des Bildungssystems benachteiligt wurden, trifft es heute eher die männlichen Schüler.
Dabei, und da sind sich auch die Wissenschaftler:innen einig, sollte niemand aufgrund seiner Herkunft, seines Geschlechts, seiner Hautfarbe oder Religion benachteiligt werden.
Die Trends der letzten Jahre machen sichtbar, dass unabhängig von der Coronakrise und pandemiebedingten Defiziten von Schüler:innen eine Verschlechterung der Bildungsqualität zu verzeichnen ist. Gründe dafür sind das Aufkommen von tiefergreifenden Herausforderungen an Schulen, die zusätzliches pädagogisches Personal, bei einem ohnehin schon bestehenden Fachkräftemangel, erfordern. Dieses steigende Personaldefizit wirkt sich sowohl auf die frühkindliche Entwicklung, als auch auf die schulische Bildungsentwicklung aus.
Bildung hat aber nach wie vor einen hohen Stellenwert innerhalb der deutschen Gesellschaft. Die Bildungsanalyse der letzten Jahre zeigt einen deutlichen Zuwachs an erfolgreich absolvierten hohen oder akademischen Abschlüssen. Diese sind von 5% auf 26% angestiegen.
Auf der anderen Seite haben Menschen mit Migrationshintergrund, die erst nach ihrer Volljährigkeit nach Deutschland gezogen sind, deutlich häufiger keinen Abschluss oder eine abgeschlossene Berufsausbildung, als die gleiche Altersgruppe ohne Migrationshintergrund. Die Anzahl der Menschen mit Migrationshintergrund, ohne Schul- oder Berufsabschluss liegt bei 36,7%. Bei gleichaltrigen Personen ohne Migrationshintergrund liegt die Quote ohne Schul- oder Berufsabschluss in Deutschland gerade mal bei 12,4%
Solche Unterschiede sind auch beim Vergleich unterschiedlicher Regionen, Gebiete oder urbanen Strukturen erkennbar. So schneiden zum Beispiel Großstädte besser ab als kleinere Orte und auch größere Regionen wie Ost- und Westdeutschland befinden sich auf unterschiedlichen Niveaus. In Ostdeutschland fällt die Abschlussrate deutlich geringer aus, als auf der gegenüberliegenden Seite des Landes.
Der Mensch lernt in jungen Jahren besser und schneller. Aus diesem Grund fiel der Fokus zunehmend auf die Förderung der frühkindlichen Bildung und Betreuung, die alle Kinder passend auf die Grundschule vorbereiten soll.
Hier zeichnen sich jedoch erste Problematiken ab. Bereits in der frühkindlichen Entwicklung gibt es Ungleichheiten in der Verteilung der Bildungschancen, da die Beteiligung an diesem aufbauenden Bildungsprogramm sehr unterschiedlich wahrgenommen wird.
Kinder im Alter von 3 – 6 Jahren, ohne Migrationshintergrund, besuchen deutlich häufiger eine Kita, als gleichaltrige Kinder mit Migrationshintergrund.
Zudem haben verschiedene Studien ergeben, dass Eltern, die einen höheren Bildungsabschluss nachweisen können, deutlich häufiger auf Kita-Angebote zurückgreifen (können), als Elternteile, die einen niedrigen Bildungsabschluss haben oder Migrationshintergrund aufweisen.
Dabei ist bereits nachgewiesen, dass ein früherer Kita-Einstieg positive Auswirkungen auf die Sprachkompetenzen der Kinder hat. Demnach wirkt sich ein fehlender oder später Einstieg in die Kita negativ auf die Sprachentwicklung, gerade bei Kindern mit Migrationshintergrund, aus. Das liegt daran, dass diese Kinder keine ausreichenden Möglichkeiten bekommen, mit der deutschen Sprache, die in unserem Bildungssystem nun mal essenziell wichtig ist, in Berührung zu kommen und in der Folge mit fehlenden oder mangelhaften Sprachkenntnissen eingeschult werden.
Durch die Coronapandemie ist das Thema der Bildungsgerechtigkeit so in den öffentlichen Fokus geraten, wie seit 20 Jahren schon nicht mehr.
Gerade in den Phasen der Schulschließungen mussten Ersatzlehrangebote her. Aufgrund der limitierten Verfügbarkeit von digitalen Geräten und Schulmaterialien wuchs die Sorge um die leistungsschwächeren oder sozio-ökonomisch weniger gutbetuchten Schüler:innen. Die ohnehin schwer zu handhabende Situation war mit dem Problem verbunden, alle Schüler:innen gleichermaßen zu erreichen und optimal zu fördern.
Die entstandenen Lerndefizite durch Corona und die daraus resultierende noch stärkere Benachteiligung bestimmter Gruppen in der Schülerschaft haben immerhin einen öffentlichen Druck ausgeübt, das Thema der Bildungsgerechtigkeit endlich grundlegend anzupacken.
Es ist an der Zeit, eine Gesamtstrategie, unterteilt in kurz-, mittel-, und langfristige Schritte, zu entwickeln, die zunächst die Ungleichheit der Bildungschancen abbaut. Dabei sollte wohl auch darüber nachgedacht werden, welche Maßnahmen Schulen außerhalb des normalen Unterrichts ergreifen können, um alle Schüler:innen abzuholen und eine faire und gleichberechtigte Förderung zu ermöglichen.
An dieser Stelle sind die Lehrkräfte und Schulleiter:innen von großer Bedeutung. Lehrkräfte haben häufig ein gutes Gespür dafür, welchen Hintergrund Schüler:innen mit in den Unterricht bringen. Benachteiligte Kinder, die in ihrem häuslichen Umfeld nicht die die nötige Unterstützung erhalten, sind auf Lehrpersonal angewiesen, welches diese Problematik erkennt und professionell darauf reagieren kann. Demnach sollten Lehrkräfte zugeschnittene Fortbildungen erhalten, um pädagogische Bedürfnisse der Schüler:innen passgenau aufzugreifen und zielführende Unterstützung leisten zu können. Eine zentrale Bündelung dieser Erkenntnisse legt den Grundstein zur praktischen Umsetzung eines passenden Bildungsangebotes, das die gerechte Bildungsverteilung berücksichtigt. Konkret heißt das, den Schüler:innen möglichst offen zu begegnen, ihre Haltungen und Neigungen aktiv in das Bildungskonzept einzubinden und flexibel auf sich verändernde Lebenslagen der Schüler:innen anzupassen.
Das impliziert die Etablierung einer Methode, von der alle bildungsbenachteiligten Kinder profitieren. Dabei sollte die Motivation fürs Lernen und das Vermitteln von selbstgesteuerten Lernprozessen im Mittelpunkt stehen.
Leistungsschwache Schüler:innen müssen gefördert werden. Dabei sind die leistungsstarken Schüler:innen jedoch nicht zu vernachlässigen. Auch ihnen steht eine angemessene Förderung zu, wenn allen Schüler:innen ein gleiches Angebot an Bildungschancen zuteilwerden soll.
Konzept: Sendepläne und tägliche Lernreflexion
Ein Praxisbeispiel aus Nordrhein-Westfalen zeigt, wie es gehen kann. Aufgrund einer ungleichen Verteilung der Bedingungen der Schüler:innen musste eine Lösung her, damit Bildungsgerechtigkeit nicht nur eine leere Versprechung bleibt, sondern ausgelebt wird. Zur Stärkung der zwischenmenschlichen Beziehungen und Strukturen wurden folgende Schritte unternommen:
Darüber hinaus kommt es aber nicht nur auf einzelne Schulen und ihre Umsetzung an. Vielmehr ist ein Zusammenspiel aller Institutionen innerhalb des Bildungssystems nötig. Um dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit näherzukommen, ist es langfristig gesehen von Vorteil, einrichtungsübergreifend zu planen. So bietet sich unter anderem eine bessere Vernetzung von Schulen und Kitas an.
Lokale Projekte, um diese Institutionen herum, eignen sich besonders gut für außerschulische Bildungsaktivitäten, um die sozio-ökonomisch benachteiligen Schüler:innen aufzufangen.
Gute Bildung fängt bei denen an, die andere ausbilden. Langfristig sollten jungen Lehrkräften beispielsweise bessere Entwicklungsmöglichkeiten oder angepasste Arbeitszeitmodelle in Aussicht gestellt werden. Eine optimale Arbeitsumgebung, die ein flexibles und stressfreies Arbeiten ermöglicht, ist ebenfalls eine Grundvoraussetzung, damit die Attraktivität des Berufs nicht verloren geht und die Besetzung in schwierigen Lagen zukünftig gewährleistet bleiben kann.
Es bestehen viele Möglichkeiten in unterschiedlichsten Bereichen, dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit Stück für Stück näherzukommen.
Es gibt drei verschiedene Möglichkeiten der Vorgehensweise, die das Verhältnis zwischen professioneller pädagogischer Unterstützung und dem tatsächlichen Bedarf beschreiben: „Das Gießkannenprinzip“, „Der individualisierte Unterricht“ und in den Typen „Ungleiches ungleich behandeln“. Um dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit näherzukommen, sollten sich jegliche Entscheidungen wohl am ehesten an dem Modell „Ungleiches ungleich behandeln“ orientieren. Dieses Modell fokussiert die Förderung aller Kinder mit dem Schwerpunkt, die am wenigsten bevorteilten Kinder am meisten zu unterstützen, um einen gerechten Ausgleich zwischen allen zu schaffen.